Das flexible Interview

Tipp

So nicht! - Ein fragwürdiges Interview: Film "Taylor Clinical Interview"

Berthould und Kilcher (1996) portraitieren die Forschungsmethoden von Piaget und Vygotsky.

Gute Exploration, gutes flexibles Interview - Bausteine

Rabbi Bekri: "Das Zentrum ist vielleicht die Verschiebung der Frage." (Edmond Jabès, zit. nach Derrida, 1976, S. 446)

Zur Einführung in die Methode wurden die Hinweise und der didaktische Aufbau von Ginsburg (1987) verwendet und ergänzt. Die Ergänzungen sind notwendig, damit die Methode nicht als Abfragen und dekontextualisiertes Testen von psychologischen "Faktoren" missverstanden wird. Die Methode soll bedeutsame und gute (Forschungs-) Praxis der Psychologie und Pädagogik in einer Situation gewährleisten.

Die Verschiebung der Frage nach Rabbi Bekri fällt leichter, wenn auf Suggestion verzichtet wird. Das erfordert Lehrzeit. Piaget (1999, S. 26-27) machte deutlich: "Man darf nicht meinen, das Suggerieren lasse sich leicht vermeiden. Eine lange Lehrzeit ist nötig, bis man die vielen möglichen Formen des Suggerierens erkennen und vermeiden kann. Zwei Spielarten sind besonders gefährlich, die Suggestion durch das Wort und die Suggestion durch hartnackiges Beharren."

Girtler (2009) hat im Zusammenhang mit der Feldforschung eine bemerkenswerte Unterscheidung eingebracht, die auch im Feld der Pädagogik eine grundlegende Rolle spielt. Die Methode der kritischen Exploration ist in erster Linie ein Gespräch, eine "conversation libre". Interviews und das Abfragen setzen die Personen unter Druck. Girtler (2009, S. 70) erinnert an Gespräche in der Odyssee von Homer und definiert den Begriff des «ero-epischen Gesprächs»:

"Beim ero-epischen Gespräch sind beide, Forscher und Gesprächspartner, möglichst gleichgestellt. Im Eigenschaftswort "ero-episch" stecken die altgriechischen Wörter "Erotema" und "Epos". "Erotema" heißt die "Frage" beziehungsweise "eromai" fragen, befragen und nachforschen. Und "Epos" bedeutet "Erzählung". "Nachricht", "Kunde", aber auch "Götterspruch", beziehungsweise "eipon" "erzählen". Der von mir erfundene Begriff "ero-episches" Gespräch in der Tradition von Homer soll also darauf verweisen, dass Fragen und Erzählungen kunstvoll miteinander im Gespräch verwoben werden. Eben auf das kommt es beim Forschungsgespräch an. Der Terminus ero-episches Gespräch drückt das gut aus. Wenn man bei Homer nachliest, versteht man, was ich mit diesem will. (…)
Diese Gespräche finden bei Homer meist in einer Situation statt, in der sich die Beteiligten wohl fühlen, (…)."

Auf den verlinkten Seiten werden fünf Dimensionen erläutert. Zur Vertiefung wird auf Inhelder, Sinclair & Bovet (1974), auf Wittmann (1982) und auf Inhelder & de Caprona (1992) verwiesen.

Tipp: Halten Sie sich nicht kleinschrittig an schriftliche Empfehlungen oder an Musterfragen. Platon hatte im Phaidros darauf hingewiesen, dass die Wahrheit über Inhalte und Theoreme von grösserer erkenntnistheoretischer Bedeutung und Tragweite (timiotera) eher in der Dialektik eines Gesprächs gefunden werden kann als in einer Schrift. Das gilt auch von den Scripts von flexiblen Interviews (vgl. Szlesák, 2021, S. 163f.). Versuchen Sie deshalb von Anfang an, differenzierend, dialektisch und schöpferisch zu arbeiten. Das Denken ist etwas Systemisches. Die wirkungsvollste Einführung besteht darin, dass man ein flexibles Interview vorbereitet, durchführt und auswertet - inhaltlich - methodisch - methodologisch.

Allgemeiner Rat

Beziehung herstellen

Denkprozesse aufdecken

Beschreiben, wie das Denken vor sich geht

Kompetenz beurteilen

Im Dokumentarfilm in französischer Sprache von RTS, 05.03.1974, erläutert Piaget seine Forschungen, welche durch Filmdokumente illustriert werden. Zudem gibt er genauere Einblicke in die verschiedenen Entwicklungsstufen des Kindes. Piaget beschreibt sein lebenslanges Credo, ein Psychologe im Dienst der Erkenntnistheorie zu sein.

Flexible Interviews erweitern den Handlungsspielraum von Lehrpersonen

Konventionelle Testmethoden oder das Beobachten allein führen auch die Pädagogik rasch an Grenzen der Erkenntnis. Flexible Interviews in Gruppen schaffen offene, operative und erkenntnisorientierte Unterrichtssituationen. Die Methode erzeugt Einsichten bei den Lernenden und den Lehrenden, Einsichten in das Thema und Einsichten in die Methode. Wer mit Kindern arbeitet oder spielt, kann diese Prozesse ohne Umschweife erfahren.

Dabei wird erneut bewusst, dass Spiel-, Bildungs- und Erziehungssituationen immer eine Ganzheit bilden, welche mehr ist als die Summe von zig flexiblen Interviews oder von zig Lernposten oder Erziehungsschritten. In Anlehnung an Lurija (1993; vgl. auch Cuomo, 2007) betritt man dabei das Feld der romantischen Wissenschaften. Diese erschiessen den Reichtum des Lebens nicht mit künstlich aufgeteilten Faktoren und statistischen Modellen, sondern sie portraitieren Erfahrungsdaten von Personen in Situationen..

Diese Webseite enthält theoretische und praktische Beispiele zu diesem Thema. Spiele eignen sich ganz besonders, um den Nutzen der Methode für die Pädagogik und die Fachdidaktik zu erkunden und zu exemplifizieren.

Nachdenken über Bildung wird der pragmatischen Erkenntnistheorie zugeordnet (Rorty, 1987). „Unter Umständen sagt man einfach etwas – man leistet keinen Forschungsbeitrag, sondern man partizipiert an einem Gespräch“ (ebd., S. 402). Ein flexibles Interview zu machen, ist operative Partizipation: "Vamos caminando", man macht sich auf den Weg mit dieser Hebammenkunst. So entwickeln sich Pädagoginnen und Pädagogen auch zu bildenden Philosophen. Die Verhältnisse ähneln dem Menon-Dialog. Der Dialog zwischen Sokrates und Menon ist bildende Philosophie. Er ist auch theoretische Konversation, welche die Erkenntnistheorie der Bildung weiterentwickelt.

Das Pädagogische ist z.B. die echte Auseinandersetzung mit einer Geometrieaufgabe wie zwischen Sokrates und dem Knaben. Der operative Dialog wird Text literarisch rekonstituiert. Nach Derrida (2014) symbolisieren die Texte Sokrates in Platon und Platon in Sokrates angesichts einer philosophischen Aufgabe. Bildung erscheint als einzigartiger, existenzieller Akt zwischen Personen und einer Sache, sie erscheint auch als fortlaufende Verschiebung der Fragen, wie es Edmond Jabès dem Rabbi Bekri in den Mund gelegt hat. Das Verschieben von Fragen treibt das Forschen und die Praxis an.

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